Fadendrechseln
Das Fadendrechseln ist eine Technik, bei der ein Holzstab derart bearbeitet wird, dass schmuckvolle Figuren wie auf einem möglichst dünnen "Faden" (daher der Name) aufgereiht scheinen. Dabei geht es vor allem darum, den technischen Anspruch an die Herstellung möglichst in die Höhe zu schrauben. Dies geschieht durch ein möglichst dünnes Ausfertigen des Fadens, denn je dünner der Faden ist, desto fragiler wird das Objekt; weiter durch ein möglichst großes und komplexes Ausfertigen der Figuren, denn je größer (und schwerer) die Figuren sind, desto größer ist die Gefahr, den Faden bei der Herstellung zu zerstören, ebenso wie eine komplexe Struktur der Figuren; und schließlich durch ein möglichst langes Ausfertigen des Fadens, denn je länger der Faden ist, desto zerbrechlicher wird er.
Bild: Faden 92cm hoch, Seele 2mm, Figuren 45mm
Damit ist eine Fadendrechselei im Grunde "nur" ein Übungsstück, mit dem der Handwerker (sich und anderen) sein technisches Geschick zeigt; gleichwohl kann sie durch die Ästhetik der Gestaltung und den Eindruck höchster Zerbrechlichkeit großen Charme entwickeln, wie auch höchste Verwunderung der Betrachter über die Herstellung eines derart filigranen Objekts aus einem Stück Holz hervorrufen.
Die Seele einer Fadendrechselei kann dünner sein, als ein Millimeter (ein Zahnstocher ist 2 mm dick), die Figuren können dicker als 5 cm sein und das ganze Objekt kann länger sein, als sein Erzeuger groß ist. Allerdings ist mir keine Fadendrechselei (auch diese möchte ich der Kürze halber als "Faden" bezeichnen ) bekannt, die alle drei Extreme vereinen würde.
Im Bild ist ein kleiner Faden in einem Reagenzglas zu sehen mit einer Seele von knapp 1 mm Dicke, einer Figurengröße von bis zu 17 mm und einer Länge von 17 cm.
Um eine sichere Handhabung und Betrachtung zu ermöglichen muss ein fertiggestellter Faden in einer eng passenden Glas- oder Plexiglasröhre gelagert werden.
Um einen Eindruck zu geben, was von Könnern zu leisten ist, möchte ich die Anforderungen eines in Frankreich ausgetragenen Wettbewerbs nennen: Die Teilehmer mussten einen Faden von 120 cm Länge mit 50 mm großen Figuren und einer Seele von maximal 1,8 mm drechseln.
Das Fadendrechseln ist keine moderne Erfindung. Es entstand Ende des 17. Jahrhunderts als eine Art Gesellenprüfung in Frankreich und wurde auch dort im 18. Jahrhundert zur Blüte gebracht. In der Regel waren diese Arbeiten zunächst nicht länger, als 30 cm. Bereits frühzeitig wurden dabei allerdings Passigtechnik (Link Passigdrehen) eingebracht. Die Komplexität und Zerbrechlichkeit der - oft aus Elfenbein gefertigten - Fäden war so bewundert, dass viele reiche Sammler solche Arbeiten in ihren Kuriositätenkabinetten haben wollten. Quelle: Bernard Azema, https://www.trembleur-azema.fr/
Der Nutzen der Fadendrechseleien liegt lediglich in der Geschicklichkeitsdemonstration. Ein gut gestalteter Faden kann allerdings durchaus ästhetischen Reiz entwickeln, doch meist erschöpft sich die Bewunderung der Betrachter im Erstaunen über das technisch Mögliche. So wird diese Technik heute von nur wenigen Spezialisten ausgeübt.
Die Motivation zum Fadendrechseln möchte ich Hugo Knoppe mit zwei Zitaten aus Hugo Knoppe, Drechslerkunst (1926) beschreiben lassen:
… sie sei „nicht eine zeitverschwendende Spielerei, sondern ein Genuss für den Schaffenden, eine Freude an einer gelungenen Arbeit, eine Erholung von dem realen Schaffen des Arbeitstages".
„So fängt die Kunst an; diese Fadendreherei ist der erste Prüfstein, an Überlegung, Geschick und Ausdauer. Umständlich ist der Weg; Geduld bei der Arbeit ist die Voraussetzung zum Erfolg.“
Hugo Knoppe erklärt übrigens auch die deutsche Namensgebung für das Fadendrechseln:
„Fadendreherei deshalb, weil es sich hier um ein Drehstück handelt, das so überaus dünn in seiner Achse ist, die wie ein Faden durch die mannigfaltigen Formen zieht.“
Namensgebend sind also nicht die zur Herstellung oft benutzten Fadenlünetten (siehe unten).
Technik
Vorbereitung:
● eine Kantel z.B. 55x55x1000mm³ aus feinporigem, dichtem, nicht sprödem Holz; z.B. Buchsbaum, Ahorn, Weißbuche, etc.; diese muss sauber rund gedreht werden, da später die Lünettenrollen darauf laufen werden
● ein durchsichtiges Rohr (Plexiglas, Glas) mit dem Innendurchmesser, der etwas größer ist, als die gewünschte Figurengröße und in der gewünschten Länge
● einen Sockel, in dem Schutzrohr und Faden gehalten werden
● eine Lünette
● ausreichend viele Fadenlünetten
● ...
Lünette:
Der runde Rohling wird an einem Ende in ein Backenfutter gespannt und am anderen Ende von einer Lünette gehalten, die ein kleines Stück des Rohlings überstehen läßt, so dass dort sicher gedrechselt werden kann.
Kurz vor der Lünette kann nun die Spitze des Fadens gedrechselt werden. Wenn die Arbeit bis an die Rollen der Lünette fortgeschritten ist, wird die Lünette (bei stehender Maschine) ein Stück Richtung Futter verschoben und das Werkstück wieder fest in der Lünette fixiert.
Früher oder später wird die Spitze des Fadens beginnen zu vibrieren. Diese Vibration würde sich im weiteren Verlauf der Arbeit schnell aufschaukeln und zum Abschleudern der Spitze führen. Um dies zu verhindern wird eine sogenannte Fadenlünette zur Stützung eingesetzt.
Fadenlünette:
Der Begriff "Fadenlünette" hat nichts mit dem Begriff "Fadendrechseln" zu tun, sondern kommt daher, dass das Werkstück mit Fäden derart fixiert wird, dass es nicht mehr schwingen/vibrieren kann. Damit wird die Zerstörung des Werkstücks verhindert. Hier einige Beispiele:
Die Anwendung:
Die Fadenlünette trägt vier Nägel, die möglichst symmetrisch um das Werkstück platziert werden. Von den Nägeln aus wird das Werkstück, wie in diesem Modell zu sehen, von jeder Richtung mit einer Fadenschlaufe locker anliegend umwickelt. Danach kann das Werkstück in keine Richtung mehr auslenken und läuft ohne zu vibrieren mit.
Jetzt kann am Faden weitergearbeitet werden, bis an dem noch nicht fixierten Teil Vibrationen auftreten, die dann erneut mit einer Fadenlünette unterbunden werden.
Bei diesem Thema höre ich oft die Frage, ob der Faden sich denn nicht heiß reibt und Brandspuren erzeugt. Aber bei einer Maschinendrehzahl von 1000 Udr/min und einem Durchmesser der Werkstückseele von 2mm ergibt sich eine Relativgeschwindigkeit zwischen Holz und Faden von gerade einmal 20cm/sec; da wird es nicht warm.
Und so ist der oben gezeigte kleine Faden entstanden:
Hier ist er bereits abgestochen, die Fäden sind gelöst und er liegt lose in den Fadenlünetten und wartet auf das Einsetzen ins Reagenzglas.
In einem sehr schönen Video zeigt Nathalie Groeneweg die komplette Entstehung eines Fadens:
technische Schwierigkeiten
Ein besonderer Reiz des Fadendrechselns liegt nun darin, dass sich die technische Schwierigkeit fast beliebig steigern läßt.
Zunächst sind da die bereits ober erwähnten Punkte:
die Stärke des Fadens (Seele):
die Stabilität sinkt quadratisch mit abnemendem Durchmesser des Fadens
die Größe der Figuren:
Die Unwuchtneigung (mögliche Fliehkraft) steigt quadratisch mit dem Durchmesser der Figuren
die Länge des Fadens ...
... ist während des Drechselns eher unkritisch; die von den Fadenlünetten gestützen Bereiche drehen völlig problemlos mit. Je länger der Faden aber ist, desto länger wird man daran arbeiten und desto höher wird die Wahrscheinlichkeit, z.B. mit einer unachtsamen Bewegung der Hand oder eines Werkzeugs den fragilen Bereich zu berühren. Das wird in der Regel mit einem Neustart bestraft.
Kritisch ist vor allem auch das Ausspannen und Umsetzen des instabilen Fadens in seine Schutzröhre. Das ist ganz gut zu sehen in einem leider schlechten Video, das Francois Escoulen bei dieser Tätigkeit zeigt (ab Minute 3:46). Dabei wird auch klar, dass unbedingt bei jeder Figur sichergestellt werden muss, dass der Durchmesser der Figur kleiner ist, als der Innendurchmesser der Röhre ...
Weitere Schwierigkeiten, die eingebaut werden können sind ...
gefangene Ringe:
radiale Bohrungen:
Radiale Bohrungen sind dagegen weniger spektakulär, erfordern aber zusätzlichen maschinellen Aufwand und recht präzises Arbeiten.Ein schönes Beispiel von Guy du Toit ist hier zu sehen:
https://guydutoit.com/en/guy-du-toit-online-art-gallery-la-difference/
Aber auch bei Azema ist dieses Stilmittel häufig zu sehen:
versetzte Achsen:
Wenn in einem zerbrechlichen Faden Bereiche mit versetzten Achsen zu sehen sind, dürfte bei so manchem Drechselkundigen der Puls deutlich steigen.
Hier zeigt Pierre Bouillot in einem Forum solch ein Objekt mit einem versetzten Achsenabschnitt:
http://www.metabricoleur.com/t14273-mon-tour-me-jouerait-il-des-tours#281261
Und weiter unten auf derselben Seite auch Bilder zum Ablauf der Herstellung:
http://www.metabricoleur.com/t14273-mon-tour-me-jouerait-il-des-tours#281508
Bernard Azema zeigt Versatz in einer Figur:
Und gleich am Anfang dieses Videos ist zu sehen, wie er mit einer exzentrischen Lünette ein derartiges Objekt drechselt:
https://www.youtube.com/watch?v=pHc-xKbORug
Andere Drechselkünstler werden sich noch andere Arten des versetzten Drehens einfallen lassen haben ...
Sterne:
Im unteren Teil des eben betrachteten Fadens von Bernard Azema ist eine noch erstaunlichere Figur zu sehen. Eine Kugel aus der die Strahlen eines 8-strahligen Sterns herausschauen.
Wenn diese gedrechselt werden sollen (und das ist der Anspruch), muss das Objekt quer zu seiner Längsachse gedrechselt wetrden !!
Nun, wenn es denn so sein muss, dann macht Herr Azema das eben auch, wie in folgendem, leider nicht sehr gutem Video zu sehen ist:
Weitere Schwierigkeiten, auf die ich hier noch nicht eingehe, sind z.B.
Spiralwund
Befräsungen und Beschnitzungen
ovale Formen (radial oval)
längs- und querpassige Figuren
und ... ... ...
Zuletzt möchte ich auf das Bild eines Fadens verlinken, der in so manchem Detail Fragen zur Art der Erzeugung aufwerfen dürfte:
Zuallerletzt muss ich noch eine nicht-technische, aber durchaus bemerkenswerte Schwierigkeit erwähnen: Die Schönheit des ganzen Fadens. Es genügt nicht, eine technische Schwierigkeit an die andere zu reihen. Wenn ein Faden unproportioniert und unharmonisch wirkt und die Figuren schwunglos und nicht aufeinander abgestimmt sind, wird sich die Begeisterung eines Betrachters in Grenzen halten. Es ist daher sehr sinnvoll auch in die ästhetische Gestaltung der Drechselei besondere Anstrengung zu investieren.
Litertur
Die Literatur, in der das Fadendrechseln behandelt wird, ist sehr überschaubar. Auch in bekannten Werken des Drechselns wird diese Technik oft kaum oder gar nicht erwähnt. Das macht deutlich, das das Fadendrechseln wirklich eine recht exotische Technik ist.
Literatur mit detailierterer Behandlung:
● Plumier, L'art de tourneur (1749)
● Bergeron, Manuel du Tourneur (1782)
● Geißler, Werk über die gesamte Drechslerei (1795 ?)
● Hugo Knoppe, Drechslerkunst (1926)
● Bernard Azema, Les Trembleurs en bois (zeitgenössisch)
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